Kundenfokussiert statt prozessfixiert, so sollte die Devise lauten. Dazu müssen sich ohne Ausnahme
Unternehmensbereiche deutlich stärker miteinander vernetzen, um abteilungsübergreifend das ganze Unternehmen und jeden einzelnen Mitarbeiter auf die Kunden auszurichten. Das hört sich banal an, ist es aber nicht. Viel zu oft wird uns Kunden immer noch erklärt, wie die Dinge zu laufen haben, wer für uns zuständig ist, dass man dieses zu tun und jenes zu lassen hat.
Unternehmen geben oft so unglaublich viel Geld aus, um neue Kunden zu gewinnen. Doch kaum sind sie endlich eingefangen, wird an allen Ecken und Enden gespart: Mitarbeiter werden nicht trainiert, es sind zu wenige da, sie haben keine Lust – oder Frust. Sie werden schlecht geführt, sie haben keine Ressourcen, keinen Spielraum und keine Ideen, um Kunden zu begeistern und schließlich zu loyalisieren. Die Kunden sollen sich einfügen und parieren. Diese allerdings fühlen sich gelangweilt, falsch verstanden, vernachlässigt, von oben herab behandelt - und schließlich vertrieben.
Aus Sicht des Kunden
Ziel des Kundenkontaktpunkt-Managements (Customer Touchpoint Management) ist es, die Kundenkontaktqualität zu steigern, die Kundenbeziehung auf Dauer zu sichern und im Idealfall auch Mundpropaganda auszulösen. Dazu heißt es, dem Kunden Enttäuschungen zu ersparen und ihm über den Zufriedenheitsstatus hinaus Momente der Begeisterung zu verschaffen. Die intensive Auseinandersetzung mit jedem einzelnen Touchpoint legt zumeist auch interne Effizienzreserven frei, sie führt zur Ressourcenoptimierung, zu Zeit- und Kosteneinsparungen und damit letztlich zu höheren Erträgen.
Im Rahmen des Kundenkontaktpunkt-Managements werden zunächst alle Kontaktpunkte chronologisch aufgelistet, die ein Kunde im Rahmen eines Kaufprozesses bzw. im Zuge der Nutzungsbeziehung hat oder haben könnte – und zwar aus dem Blickwinkel des Kunden betrachtet. Doch leider kümmern sich die diversen Einheiten in vielen Unternehmen immer noch unkoordiniert um die verschiedenen Touchpoints, wenngleich beim Kunden die Gesamtleistung zählt. Denn der Kunde betrachtet ein Unternehmen immer als Einheit. Er erwartet von jeder Abteilung und von jedem Mitarbeiter eine perfekte Leistung, da unterscheidet er nicht zwischen Innen- und Außendienst oder Chef und Azubis. Wenn auch nur ein einziger Mitarbeiter patzt, war aus Sicht des Kunden 'der Laden' schuld.
So müssen die potenziellen Erlebnisse, die ein Kunde hat oder haben könnte, mit allen Mitarbeitern, mit denen der Kunde an den einzelnen Kontaktpunkten direkt oder indirekt in Berührung kommt, abteilungsübergreifend erarbeitet werden. Listen Sie sowohl die kritischen Ereignisse als auch die positiven Geschehnisse auf, die ihm dort widerfahren – oder im schlimmsten Fall widerfahren könnten. Was läuft prima? Gibt es heikle Situationen? Wann stellt sich ein Moment großer Freude ein? Was erwartet der Kunde? Und was nicht? Was könnte die Geschäftsbeziehung intensivieren? Wo lauern Abwanderungsrisiken? Was sollten wir schnellstens ändern und verbessern? Und was hat uns bislang daran gehindert, dies zu tun? Auch wenn unangenehm, über die letzte Frage muss unbedingt gesprochen werden. Denn erst wenn die wahren Ursachen für Handlungsblockaden offen liegen, lässt sich etwas dagegen machen.
Der Prozess des Kundenkontaktpunkt-Managements
Der Prozess des Kundenkontaktpunkt-Managements lässt sich in vier Schritten darstellen:
1. Schritt: die Ist-Analyse: Welche Kunden treten an welchen Stellen und aus welchen Anlässen wie häufig mit welchen Mitarbeitern im Unternehmen in Kontakt? Wie sehen die Abläufe an den einzelnen Punkten aus? Sind sie abteilungsübergreifend aufeinander abgestimmt? Sind sie markenkonform inszeniert? Und wie gut leben die Mitarbeiter das, was die Marke bzw. das Unternehmen verspricht? Wie erlebt und beurteilt all dies der Kunde? Was läuft gut? Was muss weg? Was muss zukünftig anders/besser gemacht werden? Welche Prozessbarrieren bestehen? Welcher Handlungsbedarf ergibt sich aus Sicht des Kunden betrachtet?
2. Schritt: die Soll-Strategie: Welche Produkt- bzw. Servicequalität wollen wir welchen Kunden an welchen Kontaktpunkten zukünftig bieten? Mit welchen konkreten Zielen und mit welchen Ressourcen wollen wir diese Servicelevels erreichen? Auf welche Weise? Mit welchen Prioritäten? Welche Handlungsszenarien gibt es dabei? Soll die Zahl der Kontaktpunkte vergrößert werden? Oder verkleinert? Wie sollen insbesondere die Schlüsselkontaktpunkte aus Sicht des Kunden optimiert werden?
3. Schritt: der To-do-Plan: Wer macht was ab/bis wann mit welchem Budget? Dies ist auf der Basis von Ist und Soll gemeinsam mit den Mitarbeitern zu planen und anschließend umzusetzen.
4. Schritt: die Kontrolle und Optimierung: An welchen Kriterien wollen wir unsere verbesserte Kundenkontakt-Performance messen? Welche Kennzahlen wollen wir dazu auf welche Weise wie oft und für wen erheben? Wie wird das gewonnene Wissen dokumentiert und mit den Mitarbeitern besprochen? Wer leitet auf welche Weise die daraufhin notwendigen Prozessverbesserungen ein?
Der erste Kontakt
In Workshops stelle ich den Teilnehmern gerne die Frage: Welches ist der erste Kontaktpunkt, den ein Kunde mit Ihrem Unternehmen hat? Die Antworten fallen über alle Branchen hinweg sehr ähnlich aus: Der Kunde kommt vorbei, er ruft an, er schreibt uns, er erhält Unterlagen, er wird besucht. Hieran erkennt man die leider immer noch vorherrschende selbstzentrierte Sichtweise. Denn in Wirklichkeit hat ein Kunde in aller Regel schon sehr viel früher mit dem Unternehmen Kontakt:
· Der Kunde benötigt etwas und es kommt ihm dazu ein adäquater Anbieter in den Sinn. Dieser allererste Gedanke ist je nach Vorerfahrung positiv oder negativ aufgeladen.
· Der Kunde hört ganz beiläufig etwas über ein Unternehmen oder seine Produkte bzw. Services, und dies ist entweder positiver oder negativer Natur.
· Der Kunde fragt bei Kollegen oder Freunden, was sie zu einem Unternehmen bzw. seine Produkten und Services sagen können.
· Der Kunde liest etwas in der Presse oder hört etwas in Funk und Fernsehen.
· Der Kunde ‚googelt‘ das Unternehmen und stößt dabei auf positive oder negative Einträge in Foren, Blogs und Bewertungsportalen.
· Er geht auf die Homepage des Unternehmens und verschafft sich einen ersten Eindruck.
Auf diese Weise verliert so manches Unternehmen seine Kunden schon, bevor diese überhaupt eine erste Anfrage gestartet haben. Erschwerend kommt hinzu, dass solche vorgelagerten Kontaktpunkte weit weniger steuerbar sind als all die Aktivitäten, die bei einer schriftlichen, telefonischen oder persönlichen Kontaktaufnahme erfolgen. Und: Die meisten Unternehmen haben die webbasierten und zunehmend meinungsbildenden Kontaktpunkte immer noch nicht auf dem Radar.
Ferner stehen in vielen Unternehmen immer noch kurzfristige Einsparpotenziale und nicht dauerhafte Kundenbeziehungen im Vordergrund. Wir brauchen aber keine Finanzjongleure, sondern Menschenversteher, um Kunden zu loyalisieren. Und das heißt vor allem, wieder mehr in Mitarbeiter anstatt in technologische Infrastrukturen zu investieren. Denn jede Unternehmens- und Marketingstrategie ist nur so gut, wie die Mitarbeiter, die diese umsetzen.
Zur Autorin
Anne M. Schüller ist Management-Consultant und gilt als führende Expertin für Loyalitätsmarketing. Über 20 Jahre lang hat sie in leitenden Vertriebs- und Marketingpositionen verschiedener internationaler Dienstleistungsbranchen gearbeitet und dabei mehrere Auszeichnungen erhalten. Die Diplom-Betriebswirtin und achtfache Buchautorin gehört zu den besten Keynote-Rednern im deutschsprachigen Raum. Sie arbeitet auch als Business-Trainerin und lehrt an mehreren Hochschulen. Sie gehört zum Kreis der ‚Excellent-Speakers‘. Zu ihren Kunden zählt die Elite der deutschen, schweizerischen und österreichischen Wirtschaft.
Kontakt: www.anneschueller.de oder
www.kundenfokussierte-unternehmensfuehrung.com
Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller
Kundennähe in der Chefetage
Wie Sie Mitarbeiter kundenfokussiert führen
Orell Füssli, Zürich 2008, 26,50 Euro / 44.00 CHF
255 Seiten, ISBN: 978-3-280-05282-2