Die meisten Unternehmen überschätzen sich maßlos in punkto Kundenorientierung. Das ‚Feindbild Kunde’ („Die Kunden sind nicht nett zu mir!“) steckt nach wie vor in vielen Mitarbeiter-Köpfen. ‚Kunde-stört-bei-der-Arbeit-Botschaften’ hängen an unzähligen Schwarzen Brettern. Selbstzentriert wie eh und je wird dem Kunden vorgeschrieben, wie die Dinge zu laufen haben. Als Sprachcomputer getarnte Kundenvergraulungsprogramme, Warenbewacher im Handel und ‚Lektionen der Lieblosigkeit’ machen uns Verbraucher fertig. Und oft genug finden wir uns in der entwürdigenden Bittsteller-Rolle wieder.
Nur: Die Zeiten ändern sich gerade! Es gibt von Allem viel zu viel, wir haben Käufermärkte. Das bedeutet: Der Kunde hat heute die Macht¬ - und damit das Sagen! Nicht länger das Unternehmen, sondern der Kunde bestimmt nun die Spielregeln, nach denen 'verkaufen' gespielt wird! Er wird sich nicht länger in vorgegebene interne Prozessabläufe einfügen, sondern seine eigenen Vorstellungen durchsetzen wollen – oder er geht. Er stellt die Anforderungen und die Unternehmen führen sie aus – und zwar bitte möglichst sofort! Und wenn uns Kunden was nicht passt, bleibt das Portemonnaie eben zu!
Kundenorientierung in den letzten Winkel des Unternehmens tragen
Einschlägige Bücher über Kundenorientierung sind zahlreich. Doch wer heutzutage als Verbraucher unterwegs ist, könnte meinen, kaum ein Manager hat diese Werke je gelesen. Engpässe bestehen offensichtlich nicht hinsichtlich der Theorie, sondern, wenn wir die Kunden fragen, eher in einer durchgängig praktischen Umsetzung. Und dafür sind die Mitarbeiter verantwortlich. Wir brauchen daher nicht nur eine kundenorientierte Unternehmensführung, sondern vor allem auch eine kundenorientierte Mitarbeiterführung. Diesen Weg proaktiv zu beschreiten heißt: Kundenorientierung in den letzten Winkel des Unternehmens tragen. Und genau daran müsste nicht nur der Vertrieb, sondern auch Marketing und Human Ressources größtes Interesse haben!
Der Internet-geschulte, aktive Kunde startet ja heute oft von sich aus eine Recherche tief in das verkaufende Unternehmen hinein. Selbstbewusst und offensiv versucht er, hinter die Kulissen zu schauen. Er lässt sich seine Ansprechpartner nicht mehr aufdiktieren, lässt sich nicht länger vorschreiben, auf welchem Kommunikationskanal er mit Ihnen in Kontakt treten 'darf'. Unternehmen, die dem Kunden aufzwingen wollen, was er tun darf und was nicht, sind von gestern – und morgen nicht mehr im Spiel.
Fast Jeder im Unternehmen kann heute direkt oder indirekt zur Anlaufstelle für den Kunden werden. Deshalb braucht nicht nur das Sales-Team, sondern letztlich jeder einzelne Mitarbeiter im Unternehmen Kundenorientierung. Der Kunde jedenfalls beurteilt Ihr Unternehmen als Einheit. Er entscheidet, wann er wie mit welchem Mitarbeiter in Kontakt tritt. Er will von jedem eine Spitzenleistung, da unterscheidet er nicht zwischen Chef und Azubi. Wenn auch nur ein einziger Mitarbeiter bei Ihnen patzt, war aus Sicht des Kunden 'das Unternehmen' schuld.
Aus Momenten der Wahrheit Momente der Begeisterung machen: Jeder Kundenkontaktpunkt ist eine Loyalisierungschance und formiert sich aus Kundensicht zu einer Gesamterfahrung. Dies erfordert ein hohes und homogenes Niveau aller beteiligten Mitarbeiter.
Alle Mitarbeiter müssen also letztlich so auf die Kunden ausgerichtet werden, dass ein homogenes Bild auf hohem Niveau entsteht. Jeder im Unternehmen trägt auf seine Weise dazu bei, Verkaufserfolge und nachhaltige Kundenloyalität zu erzielen. Selbst Mitarbeiter, die selten oder nie Kundenkontakt haben, können davon nicht ausgenommen werden. Auch der Lagerarbeiter und die Aushilfe müssen erkennen, welchen Beitrag zum ‚Kunden-glücklich-machen’ sie ganz persönlich leisten können. In Hotels beispielsweise tragen gerade die Zimmermädchen, die in der Hierarchie ganz unten angesiedelt sind, gewaltig dazu bei, wie wohl sich der Gast fühlt. Ein einziges fremdes Haar in der Badewanne, und er ward nie wieder gesehen.
Was Kundenorientierung heute bedeutet
Kundenorientierung heißt, die eigene Leistung muss - immer unter Berücksichtigung der Rentabilität - möglichst zu 100 Prozent an die Kundenwünsche angepasst werden - und nicht umgekehrt. Dies verlangt, die Perspektive zu wechseln, alles aus Sicht des Kunden zu betrachten, sich auf seinen Stuhl zu setzen, sich in seine Schuhe zu stellen. Und dies ist nicht nur eine Frage von ‚wissen’ und ‚können’, sondern auch von ‚wollen’. Gefragt sind:
• eine kundenorientierte Einstellung (= was der Kunde spürt): der Umgang mit Kunden macht echt Spaß, man ist tolerant und verständnisvoll, man wertschätzt die Kunden, man fühlt sich persönlich verantwortlich für deren Wohlergehen, man kann sich gut in ihre Lage versetzen und tut das alles auch wirklich liebevoll, achtsam und gerne. Im Vordergrund steht das 'wollen wollen'.
• kundenorientiertes Verhalten (= was man tut, also der Kunde auch sieht): Man ist sicher im Umgang mit Kunden, bereitet sich gut auf den Kunden vor, man spricht eine kundenorientierte Sprache, man denkt für den Kunden mit, man unterstützt ihn aktiv und partnerschaftlich im Erreichen seiner Ziele, man befragt ihn über seine Bedürfnisse, man versucht, jeden machbaren Wunsch zu erfüllen oder, was noch viel hochwertiger ist, ihn zu antizipieren.
Die kundenorientierte Einstellung ist dabei der vorrangige Aspekt. Fehlt die Einstellung, wirkt das Verhalten schnell aufgesetzt und andressiert. Verkaufstrainings beschäftigen sich immer noch viel zu sehr mit einer Vielzahl von Verkaufstechniken. Selbst, wenn diese gut beherrscht werden: Sie bewirken nichts, wenn die Einstellung nicht stimmt. Ob der Kaffee liebevoll oder lieblos serviert wird, das wird der Gast garantiert spüren. Und jedes 'Muss-Lächeln' wird als solches enttarnt.
Kundenorientierte Mitarbeiter-Entwicklung
Die Bedeutung analytischer Fähigkeiten und fachlicher Fertigkeiten wird von vielen Unternehmen nach wie vor maßlos überschätzt. Kunden dagegen setzen fachliches Know-how heute ganz einfach voraus. Und obendrauf wünschen sie sich von ihren Ansprechpartnern schon seit langem Kommunikationsvermögen, Feingefühl und Empathie. Soziale Kompetenz und emotionale Intelligenz sind Haupterfolgsfaktoren im Kundenkontakt. Sie können sogar fachliche Defizite ausgleichen. Andersherum funktioniert es allerdings nie – von einem Unsympathen kaufe ich nichts! Sympathie dagegen schafft Zuneigung – und damit Kaufbereitschaft.
Moderne Verkäufer-Ausbildung muss demnach weit über das reine Vermitteln von Gesprächsführungs-, Präsentations- und Abschlusstechniken hinausgehen und sich viel mehr mit den emotionalen Motiven und Bedürfnissen der "Kunden-Menschen" beschäftigen. Es bringt einfach nichts, auch noch die 21. Verkaufstechnik nachzuplappern, in Outdoor-Camps auf Bäumen herumzuklettern oder ‚Durch die Wüste’ zu spielen. In der Wüste gibt es keine Menschen! Um etwas über Kunden zu lernen, müssen sich alle Mitarbeiter und alle Führungskräfte eines Unternehmens mit kundenorientiertem Denken und Handeln intensiv auseinandersetzen, am besten gemeinsam über alle Hierarchie-Ebenen hinweg und in ständigem Dialog mit den Kunden.
In meinen Workshops lasse ich das Thema Kundenorientierung immer von den Mitarbeitern selbst erarbeiten. Am Anfang steht meist – und das mag hier zunächst schockieren – die Frage: „Was müssen wir tun, um ganz sicher unsere Kunden zu vergraulen und damit zu verlieren?“ Aus dem anschließenden Umkehrschluss ergeben sich die positiven Ansätze fast wie von selbst – maßgeschneidert für das eigene Unternehmen. Und diese werden dann auch gerne umgesetzt, denn sie wurden nicht vom Chef aufdiktiert, sondern in Eigenregie entwickelt. „Das Wollen der Mitarbeiter erreicht man am besten, wenn die Leute selbst sagen, sie könnten sich vorstellen, das in Zukunft so und so zu machen“, erkannte sehr treffend eine Führungskraft während eines solchen Workshops.
In kundenorientierten Unternehmen kommen möglichst alle Mitarbeiter ‚live’ mit Kunden zusammen. Oder sie erzählen sich zumindest ständig Geschichten über die Kunden – und zwar vorzugsweise Erfolgsgeschichten. Ein Beispiel: Bei einem meiner Kunden, einem mittelständischen Futtermittel-Hersteller trafen sich seit Jahr und Tag die Mitarbeiter der Zentrale zu einem geselligen Mittwochsfrühstück. Nun werden hierzu auch Außendienst-Mitarbeiter eingeladen, die über ihr Verkaufsgebiet berichten, Innendienst-Mitarbeiter erzählen über ihre Besuche bei Kunden und manchmal kommen sogar Kunden und schildern die Probleme bzw. Erfolge mit dem Einsatz der Produkte dieses Unternehmens.
In kundenorientierten Unternehmen kennt das Management seine Kunden nicht nur aus den Berichtsbänden der Marktforschungsinstitute – sondern persönlich. Für viele Führungskräfte bedeutet dies, womöglich erstmals mit einem Kunden von Angesicht zu Angesicht zu reden. IKEA-Führungskräfte besuchen beispielsweise die Kunden zu Hause, um zu sehen, wie sie so leben.
Eine kundenorientierte Unternehmensorganisation
Redet man bei Ihnen immer noch von Abteilungen und Schnittstellen? Das ist schlecht, denn Abteilungsdenke fördert Revier-Gehabe! Unnütze Energie wird vergeudet mit dem Abstecken von Grenzen und dem Zurückweisen von offensichtlichen oder scheinbaren Übergriffen. Und während ganze Unternehmensbereiche interne Feindbilder aufbauen, sich Schlammschlachten liefern und in Grabenkämpfen zerreiben, zieht der Kunde von dannen. Während Streithähne mit sich selbst beschäftigt sind (…"Mit dem rede ich bis zur Rente nicht mehr!" - "Den lass ich am ausgestreckten Arm verhungern!"…), erfindet die Konkurrenz neue Produkte, verbessert ihren Service, kreiert neue Verkaufskampagnen – und macht das Rennen.
In kundenorientierten Unternehmen ziehen alle Bereiche am gleichen Ende des Stranges - sie arbeiten Hand in Hand. Aus Schnittstellen müssen Kittstellen werden, denn das Kunden-erfolgreich-und-damit-glücklich-machen wird in Zukunft nur über Abteilungsgrenzen hinweg funktionieren. Abteilungsbarrieren existieren sowieso nur in den Köpfen der Mitarbeiter. Den Kunden interessiert ganz einfach nicht, welche Abteilung 'zuständig’ ist, er honoriert einzig und allein den reibungslosen Ablauf des Ganzen. Er will Komplettlösungen und keine Atomisierung seiner Belange. Und er merkt sehr schnell, wenn ein Unternehmen nicht wie aus einem Guss funktioniert.
Speziell im Vertrieb erfordert die ernsthafte Hinwendung zu wahrer Kundenorientierung Strukturen, die auf Sympathie beruhen. Produktorientierte oder auch regional organisierte Verkaufsstrukturen sind nicht mehr zielführend. Der lokale Firmensitz des Kunden oder seine Branchenzugehörigkeit darf nicht länger das entscheidende Kriterium dafür sein, welcher Key-Accounter bzw. Sales-Mitarbeiter der hauptsächlich aktive Kontakter ist. Der Kunde bzw. sein Buying-Team entscheidet künftig, wer die wichtige Verkäufer-Funktion bei ihm ausfüllen darf.
Will heißen: Der Kunde bekommt den Verkäufer, den er haben will, der zu ihm passt, den er braucht. Organisation folgt Emotion. Die zwischenmenschliche Beziehung entscheidet! Das ist hier so leicht geschrieben und abnickbar. Für manchen Verkäufer - gerade für die hochdekorierten und star-allürigen unter ihnen - wird dies eine riesige Herausforderung darstellen. Denn nun wird er, anstatt eitel seinem Ego zu dienen, offen sagen müssen, dass er mit einem Kunden nicht ‚kann’, und dem Kollegen den Vortritt lassen, bei dem die Wellenlänge stimmt. Eine Revolution für viele Vertriebsmannschaften, ein Segen für die Umsätze des Unternehmens.
Ein verheißungsvoller Ansatz: die kundenorientierte Mitarbeiterführung
Die kundenorientierte Führung richtet die Mitarbeiter voll und ganz auf den Kunden aus. Die Schlüsselfragen, die dabei quasi täglich zu stellen sind, lauten:
- Wer genau ist der Kunde?
- Wie ‚tickt’ er emotional?
- Was will und braucht er wirklich?
- Was ist gut und richtig für ihn?
- Was hält er von unserer Leistung?
- Was fängt er damit an?
- Wie können wir helfen, unsere Kunden erfolgreich und damit glücklich zu machen?
Ein Verkäufer in diesem Sinne ist dann nicht mehr in das eigene Angebot, sondern in seine Kunden 'verliebt'. Mit Feinfühligkeit versucht er, seine Kunden und die Prozesse in dessen Unternehmen in der Tiefe zu verstehen, die wahren Probleme seiner Kunden zu erkennen und deren Erwartungen möglichst zu (über)treffen. So hilft er seinen nunmehr begeisterten Kunden, deren Ziele zu erreichen und vor allem: deren Kunden glücklich zu machen. Er kümmert sich also nicht nur um seine Kunden, sondern auch um die Kunden seiner Kunden.
Als Advokat seiner Kunden kehrt er mit deren spezifischen Anforderungen in das eigene Unternehmen zurück, um mit den entsprechenden Fachbereichen maßgeschneiderte Lösungen zu erarbeiten und auf vollständige Erfüllung, möglichst sogar auf Übererfüllung zu drängen. Dabei geht es nicht nur um das technisch Machbare, sondern immer auch um die berühmte 'Extra-Meile’, die meist im Service-Bereich liegt – und für Begeisterung sorgt.
Die kundenorientierte Haltung eines Unternehmens beginnt in den Köpfen der Führungskräfte. Nicht, was wir am besten können, was richtig für uns und gut für die Anteilseigner ist, sondern was passend für unsere Kunden ist, steht im Fokus. Denn vor dem Geldverdienen kommt der Kunde. Und Geldscheine sind Stimmzettel! Für den Mitarbeiter heißt das: Im Zweifel dem Kunden und nicht dem Boss gefallen, seine ganze Energie auf den Kunden und nicht auf die Führungskraft konzentrieren. Für manche Vorgesetzte ist das eine harte Lektion!
Die kundenorientierte Führung ist folgendermaßen geprägt:
die Mitarbeiter werden als interne Kunden gesehen – und auch so behandelt die Mitarbeiterzufriedenheit wird regelmäßig gemessen und ist hoch die Führungskraft lebt Kundenorientierung deutlich sichtbar vor die Ziele der Mitarbeiter sind auf Kundenorientierung ausgerichtet über kundenorientierte Einstellungen wird regelmäßig gesprochen kundenorientiertes Verhalten wird gefördert, gefordert, gemessen, gelobt und belohnt an kundenorientierter Prozess-Optimierung wird fortlaufend gearbeitet
Die Grenzen der Kundenorientierung
Kundenorientierung hat, das darf hier nicht verschwiegen werden, natürlich auch Grenzen: Es bedeutet nicht, dem Kunden alles zu schenken, was sich dieser erbettelt. Oder sich erpressen zu lassen, wenn der Kunde mit 'Liebesentzug’ droht. Kunden, die dies in schwierigen Zeiten gnadenlos tun, sollten wissen, dass sich solches Verhalten an anderer Stelle, irgendwann, irgendwie rächt. Denn geschäftliche Partnerschaft heißt: Win-Win. Auf beiden Seiten des Tisches müssen Gewinner sitzen.
Und dort, wo durch Prämien und Incentives belohnte Kundenorientierung zu sehr im Fokus steht, muss der Vorgesetzte darauf achten, dass der Mitarbeiter nicht überzieht und hierdurch zwanghaft künstlich wirkt oder gar die Kunden zu sehr bedrängt und damit überfordert und abschreckt. Kundenorientierung braucht also ein ‚Tuning’, um jederzeit im grünen Bereich zu sein.
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